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Thuner Tagblatt
Samstag, 26. September 1998, Nr. 224
Der
Fulehung erwacht zu neuem Leben
Die
zwei Thuner Künstler Reto Steiner und Sandro Fiscalini sind
mitten in den Arbeiten für einen " Fulehung"-Comic.
Die Fulehung-Maske ist ein Beutestück aus den Burgunderkriegen.
Soweit die Legende. Doch die Geschichte der Maske könnte auch
eine ganz andere gewesen sein, sagen die beiden jungen Thuner
Comic-Zeichner Reto Steiner und Sandro Fiscalini und schrieben
ihre eigene Legende. In Comic-Form.
Bei Grandson
das Gut, bei Murten den Mut und bei Nancy das Blut. Das Verslein
zu den Lebensdaten von Karl dem Kühnen kennt jedes Kind. Ebenso
bekannt ist, dass die tapferen Thuner Krieger für ihren Einsatz
in den Burgunderkriegen belohnt wurden: Mit einem goldenen Stern
im Wappen, mit Teppichen und der Fulehung-Maske.Doch letzteres
ist lediglich eine Legende, mehr nicht. Erstmals schriftlich
erwähnt ist die Maske nämlich erst Mitte des letzten Jahrhunderts.
Und dazwischen verstrich eine lange Zeit.
Stutzig
gemacht hat dieser Sachverhalt auch die jungen Thuner Comic-Zeichner
Reto Steiner und Sandro Fiscalini: Während einem halben Jahr
beschäftigten sich die beiden intensiv mit der Geschichte und
Herkunft der Fulehung-Maske. Reto Steiner erinnert sich an die
Anfänge zurück: "Es war an einem regnerischen Sonntag. Weil
mir langweilig war, besuchte ich das Schloss Thun und stiess
dabei auf die Fulehung-Maske, die dort ausgestellt ist. "Irgendetwas
habe ihn dort verweilen lassen: "Der Gesichtsausdruck der Maske
hat mich gefangengenommen. Dieses schmerzverzerrte Gesicht.
Ich wollte plötzlich wissen was für eine Geschichte dahinter
steckt".
Und damit
nahm das Abenteuer seinen Lauf: Von der Idee fasziniert war
nämlich auch sein Freund und Comic-Weggefährte Sandro Fiscalini:
Der Gedanke, die Geschichte der Maske in Comic-Form neu zu erzählen,
lag auf der Hand. Doch bis zum ersten Zeichnungsstrich sollte
noch ein langes halbes Jahr vergehen. Erst folgten intensive
Forschungen, das Durchackern von Sachbüchern und Chroniken sowie
genaue Studien der Original-Fulehung-Maske und mehrere Sitzungen
mit dem Thuner Stadtarchivar Peter Küffer." Er war es auch,
der uns dazu ermutigte, unsere eigene Geschichte niederzuschreiben",
meint Sandro Fiscalini. "Legenden sind schliesslich nichts anderes
als Geschichten, die sich Menschen erzählen. Dann darf auch
einmal eine neu Legende erfunden werden.
Ihre Version
der Fulehung-Maske bringen die beiden im Selve-Areal zu Papier.
Hinter dem "Orvis"-Tanzpalast, im vierten Stock, irgendwo zwischen
Graffiti und Fabrikhallen-Groove haben sie sich ihr Atelier
eingerichtet. Farbtuben liegen herum. Ein übergrosses Tweedy
und Tintin grüssen von den Wänden. Zwischendurch tauchen aber
immer wieder Skizzen ihrer eigenen Comic-Figuren auf: "Glorieux",
das Froschgesicht als Hofnarr, der hämisch grinsende Karl der
Kühne oder der Fulehung als Krieger mit Schwert. Mit Schwert?
"Wir haben die Maskentradition der ganzen Welt studiert", erklärt
Sandro Fiscalini rückblickend. "Metallmasken wie die Original-Fulehung-Maske,
auch solche mit Hörnern, haben wir aber erst bei den Kelten
wiedergefunden." Bei der Erforschung der Keltenkultur stiessen
die beiden schliesslich auch auf den Brauch des "Wilden Heers":"Zwischen
Weihnachten und dem Drei-Königstag wüteten diese verstorbenen
Krieger jeweils in den Gegenden Süddeutschlands", so Sanrdro
Fiscalini. "Und unter ihnen könnte auch der Fulehung gewesen
sein."
Den Ausschlag,
den Comic aber auch wirklich zu realisieren, gab aber schliesslich
ein Satz in der mittelalterlichen Chronik von Diebold Schieling,
in alter Schrift und mittelhochdeutscher Sprach verfasst: "Dort
stand", erinnert sich Reto Steiner und seine Augen beginnen
zu leuchten,"dass böse Zungen behaupten, Karl der Kühne sei
in Nancy nicht gestorben und habe sich fortan der schwarzen
Magie zugewandt. Damit war der Kreis zum mythologischen "Wilden
Heer" geschlossen und wir hatten den Aufhänger für unsere Story.
Mehr verraten die beiden nicht. Nur so viel: "Unser Comic erzählt,
wie die Fulehung-Maske nach Thun kam. Aber auf eine völlig neu
Art".
Bei einigen
Gläsern Wein und mit viel Fantasie und Einbildungskraft brachten
die beiden ihren eigenen Legenden-Kreis zu Papier und setzten
ihn schliesslich in einzelnen Szenen und Bilder um. Das Resultat
:achtzig Seiten mit genau skizziertem Bildaufbau. Was jetzt
noch folgt, sind die Reinzeichnungen und das Kolorieren. Was
bis hier ein Gemeinschaftswerk war, ist jetzt klar abgegrentzte
Aufgabenteilung: Sandro Fiscalini erweckt die Figuren mit sicherem
Bleistiftstrich zum Leben, Reto Steiner bringt mit der Farbe
die düstere Stimmung des Mittelalters in die Zeichnungen hinein.
Am Ausschiesset
1999 ist die Buchvernissage geplant: Vierzig bis fünfzig Stunden,
so haben die beiden errechnet, wird sie von der Idee bis zum
Endresultat eine Seite kosten. Ein Aufwand, der sich finanziell
kaum lohnen wird. Aber die beiden denken nicht so: "Uns gefällt
unser Beruf. Das ist das wichtigste", sagt Sandro Fiscalini.
"Wir haben natürlich auch die Hoffnung, dass wir mit diesem
ersten grösseren Werk noch vermehrt auf uns aufmerksam machen
können". Und eine ernsthafte Krise gab's bisher auch keine:
" Eines ist klar", stellt Sandro Fiscalini aber fest, "um eine
solche Sache durchzuziehen, musst du echt besessen sein".
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